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4.31 Da99ZhuBläserquintettII.doc


ZHU Shi-Rui

Kommentar zur Komposition: 12 Stücke in 5 Teilen für Bläserquintett

Wo die Sprache nicht mehr in ihrem Ausdruck hinreicht,

da setzt das Gedicht ein;

Wo das Gedicht in seinem Ausdruck versagt,

da setzt die Musik ein.

(Alte chinesische Weisheit)

In der Komposition 12 Stücke in 5 Teilen für Bläserquintett beruhen die kompositorischen Hauptgedanken auf folgender Idee: alle wesentlichen musikalischen Materialien, Elemente und Parameter sollen aus einem im 13. Jahrhundert von dem chinesischen Dichter MA Zhiyuan geschriebenen Gedicht "Tian-Jing-Sha - Herbstgedanken" entstehen und sich gleichzeitig entlang mehrerer Schichten entwickeln, durch völlige Ausnutzung der poetischen sprachlichen Strukturen von beiden Sprachen (chinesisches Original und deutsche Übersetzung) des Gedichts, insbesondere durch direkte und indirekte Ausschöpfung der Schriftzeichenformen, der Phonetikstrukturen und - alles in allem - des semantischen Gehalts sowohl der Denotation als auch der Konnotation. Das heißt, daß versucht werden soll, folgende Experimente zu den Problemen und Schwerpunkten, so tief eindringend wie möglich, beim kompositorischen Gedankengang zu verwirklichen: 1. Versuch zum neuen Verhältnis zwischen Instrumentalmusik und Sprache, zwischen Sprachstrukturen des Gedichts und sprachlosen Strukturen der Musik; 2. Vergleich der melodisch-rhythmischen Intonationen beider Sprachen und ihr Verschmelzen zu einem einheitlichen sprachlosen Musikstück über ein ewig menschliches Thema: das Tao oder die Natur; 3. Suche nach Verknüpfungspunkten zeitgenössischer europäischer Kompositionstechnik mit traditioneller chinesischer Musikdenkweise.

Hier liegt der "goldene Mittelweg" immer zwischen Subjektivem und Objektivem, Konkretem und Abstraktem, zwischen Affekten und Ratio, Osten und Westen, Erde und Himmel, Yin und Yang usw. Als östliche philosophische Begriffe sind diese Gegensätze vielleicht für die Musik viel zu abstrakt in ihrer Übertragung; aber als Offenbarung und Inspiration haben sie mir viel Anregung bedeutet.

Wegen der bildhaften Denkweise in der traditionellen chinesischen Musik gibt es hier ein enges Verhältnis zwischen dem poetischen semantischen Gehalt und der musikalischen Klangkonfiguration. Diese Komposition hat insgesamt 12 Hauptklangtexturen, entsprechend den 12 semantischen Einheiten, genauso wie die des Gedichts. Jedes Stück besitzt eine eigene Hauptklangtextur, die darin eine "thematische Rolle" spielt. Solche Klangtexturen oder Konfigurationen einerseits wurzeln in den 12 semantischen Einheiten: 12 symbolische Gestalten oder 12 Objekte in verschiedenen Zuständen wie 12 Bilder; andererseits sollen sie ihre eigenen Schwerpunkte im musikalischen Sinne "unabhängig" erfüllen. Dazu werden die sprachlosen Strukturen der Musik als Resultat von auseinandergerissenen, symbolischen, musikalischen Semantik-Objekten des Gedichts mit etwas Phantasie verwirklicht.

(I. Nr. 1) Verdorrter Efeu

(Nr. 2) betagter Baum

(Nr. 3) ein düsterer Rabe

(II. Nr. 4) Kleine Brücke

(Nr. 5) murmelnder Bach

(Nr. 6) eine einsame Hütte

(III. Nr. 7) Ausgetretener Pfad

(Nr. 8) vom Westen der Wind

(Nr. 9) ein dürres Pferd

(IV. Nr. 10) Im Westen die untergehende Sonne

(V. Nr. 11) Ein wehmütiger Wanderer

(Nr. 12) im entlegensten Winkel der Erde

Tian Jing Sha - Herbstgedanken

von MA Zhi-Yuan (1250-1321, Yuan-Dynastie)

(deutsche Übersetzung und Bearbeitung von ZHU Shi-Rui)
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