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2.7 RADIOKU2.DOC


MGG-Artikel "Radiokunst"

A.Zur Terminologie

AI. Radiokunst

AII. Hörspiel

B. Musik - Radio - Akustische Kunst

BI. Allgemeines

BII. Das Radio als Medium der technischen Übermittlung von Hörereignissen

BIII. Akustische Kunst als integrative Hörkunst des technischen Zeitalters

AI. Radiokunst

Radiokunst ist die Bezeichnung für (Hör-)Kunst, die auf die spezifischen Produktions- und Verbreitungsbedingungen des Radios (Hörfunks) ausgerichtet ist. Der Begriff bezieht sich auf die künstlerische Gestaltung von aufgenommenen (und ggf. technisch verarbeiteten) Hörereignissen in den Erfahrungsbereichen Stimme (bzw. Sprache), Geräusch und Musik. Radiophone Produktionsbedingungen ermöglichen die räumliche, u. U. auch zeitliche Trennung von Aufnahme und Wiedergabe (bzw. Aufführung). Radiophone Verbreitungsbedingungen ermöglichen die rein auditive, vom visuellen Kontext der Klangproduktion abgelöste Wahrnehmung von (über Lautsprecher wiedergebenen) Hörereignissen durch Hörer, die sowohl vom Ort der Klangproduktion als auch voneinander räumlich getrennt sein können (als disperses Publikum).

Möglichkeiten der spezifisch radiophonen Produktion und Verbreitung verbinden sich in der Regel mit Verfahren der technischen Konservierung von Hörereignissen, die, außer für das Radio, auch für den Bereich verschiedener Tonträger von Bedeutung sind. Dies ermöglicht einerseits die Sendung technisch konservierter Hörereignisse, andererseits die technische Konservierung von Sendungen. In beiden Fällen kann deutlich werden, daß Radiokunst sich nicht in jedem Falle von anderen Bereichen technisch produzierter Hörkunst eindeutig abgrenzen läßt. Dies gilt in besonderem Maße für technisch produzierte Hörkunst, die über Tonträger verbreitet wird. Über Radio und/oder Tonträger verbreitete technisch produzierte Hörkunst wird zusammenfassend als Akustische Kunst bezeichnet, die sich, in der Beschränkung auf rein auditive Ereignisse, abgrenzt nicht nur vom visuellen Kontext der Klangproduktion, sondern auch von audiovisuellen Konstellationen technisch produzierter Klänge und Bilder, insbesondere also auch von der Klanggestaltung für Film und Fernsehen.

Der Begriff Radiokunst kann nicht in jedem Falle so eng gefaßt werden, daß er sowohl die Produktion in einer Rundfunkanstalt als auch die Verbreitung in einer Radiosendung voraussetzt. Für die Verbreitung im Radio spezifisch geeignete Hörkunst kann auch in rundfunkexternen Produktionen entstehen, und andererseits können in Rundfunkstudios Produktionen entstehen, die später auf Tonträgern oder in öffentlichen Aufführungen weitere Verbreitung finden als im Rahmen von Radiosendungen. -

Radiokunst und Akustische Kunst unterscheiden sich von Musik im engeren Sinne einerseits durch die potentielle Gleichwertigkeit der Erfahrungsbereiche Stimme/Sprache, Geräusch und Musik (i. e. S.), andererseits durch die konstitutive Bindung an Bedingungen der technischen Produktion und Verbreitung, wie sie für Musik insgesamt in spezifischen Zusammenhängen (z. B. im Rahmen der elektroakustischen Musik) möglich, aber keineswegs generell unabweisbar gefordert sind.

Die Funktion der Musik im Kontext der Radiokunst ist ambivalent: Einerseits als Musik im engeren Sinne gleichrangig mit Stimmlauten (z. B. Sprechstimmen) und (z. B. situationsbezogenen) Geräuschen; andererseits als Musik im weiteren Sinne, in die auch Geräusche und Stimmlaute integriert sein können.

AII. Hörspiel

a) Der Begriff "Hörspiel" bezeichnet ein aus technisch konservierten, produzierten oder verarbeiteten Klängen gestaltetes Hörereignis, das über Lautsprecher wiedergegeben und ohne Zusammenhang mit die Klangproduktion bedingenden oder begleitenden visuellen Vorgängen wahrgenommen wird. Im Unterschied zum Gegenbegriff "Schauspiel", der die Verbindung mit Hörbarem (z. B. mit gesprochener Sprache, Geräuschen und Musik) nicht ausschließt, betont der Begriff "Hörspiel" nicht den Primat des Hörens vor anderen Sinneswahrnehmungen, sondern die ausschließliche Konzentration auf das Hören. Dies ist die Konsequenz daraus, daß die Rezeption des Hörspiels (im Gegensatz zur Rezeption des Schauspiels) auf technische Produktions- und Rezeptionsbedingungen (insbesondere auf die Lautsprecherwiedergabe) festgelegt ist, die das gehörte Resultat von anderen Sinneswahrnehmungen, insbesondere von der Seherfahrung, isolieren.

b) Die technische produzierte Lautsprechermusik ("Unsichtbare Musik", "Akusmatische Musik") ist vom Hörspiel dadurch unterschieden, daß dessen Klangmaterial nicht nur durch innermusikalische Bestimmungen von Klangeigenschaften, Klangtypen und Formverläufe charakterisiert werden kann, sondern auch durch die musikübergreifende Unterscheidung zwischen den drei Grundbereichen der Hörspielgestaltung:

- Stimmlaute/klingende Sprache -

d. h. von Menschen, u. U. auch von anderen Lebewesen hervorgebrachte Hörereignisse, die nicht nur nach klanglichen Bestimmungen beschrieben werden können, sondern auch als Übermittler einer begrifflich fixierbaren, abstrahierbaren, in der Regel auch in eine andere Sprache übersetzbaren Information; im Kontext des Hörspiels ist Sprache allerdings nicht ablösbar vom realen Stimmklang, nicht reduzierbar auf schriftlich Fixierbares und/oder Übersetzbares

- Geräusche - d. h. Hörereignisse, die nicht nur nach klanglichen Bestimmungen wahrgenommen werden können, sondern auch als Hinweise auf (reale oder vorgestellte) Vorgänge; im Kontext des Hörspiels werden Geräusche also nicht akustisch definiert (als Hörereignisse unbestimmter Tonhöhe), sondern dramaturgisch (im Verweis auf Ereignisse der musikübergreifenden sinnlichen Erfahrung)

- Musik - d. h. Hörereignisse, die primär nicht als Übermittlung von Bedeutungen oder als Hinweis auf Vorgänge gehört werden, sondern um ihrer selbst willen; Musik als Bestandteil eines Hörspiels impliziert einerseits, in der Beschränkung auf dramaturgische Funktionen beispielsweise der Gliederung oder Untermalung, eine Verengung des Musikbegriffes, andererseits, in der integrativen Öffnung der Möglichkeiten zur klingenden Sprache und/oder zum Geräusch, dessen Erweiterung

c) Die Möglichkeiten der integrativen Kopplung von Sprache, Geräusch und Musik gelten als konstitutiv nicht nur für das Hörspiel, sondern auch für die Akustische Kunst, die als Oberbegriff sowohl der (gleichwertig mit klingender Spracher und/oder Geräuschen kombinierbaren) experimentellen Musik als auch des (integrativ von einer potentiellen Gleichwertigkeit der klingenden Sprache, des Geräusches und der Musik ausgehenden) experimentellen Hörspiels definiert werden kann.

d) Aus den technisch geprägten Produktions- und Rezeptionsbedingugnen des Hörspiels ergibt sich, daß potentiell alle über Lautsprecher verbreitbaren Hörereignisse als Material für eine Hörspiel-Realisation in Betracht gezogen werden können - unabhängig davon, ob sie den Bereichen Stimme/Sprache, Geräusch oder Musik zugeordnet werden. Von der gleichwertigen Berücksichtigung dieser drei Bereiche kann abgesehen werden zugunsten einer Auswahl (Verzicht auf einen oder zwei Bereiche, z.B. im sprachlich-literarischen Hörspiel oder im Geräusch-Hörspiel) oder einer hierarchischen Abstufung (z. B. im traditionellen literarischen Hörspiel mit szenisch-illustrativen Geräuschen, mit szenisch gliedernder und/oder untermalender Musik).

e) Hörspiele werden in der Regel in Rundfunkstudios produziert und in Radiosendungen verbreitet. In diesem Falle sind sie für ein räumlich getrenntes ("disperses"), aber gleichzeitig angesprochenes Publikum bestimmt (was Orson Wells 1938 sensationelle Massenwirkungen bei der radiophonen live-Simulation einer Weltraum-Invasion ermöglichte). Die Möglichkeiten der technischen Reproduktion sowie der massenweisen Vervielfältigung und Verbreitung von Hörspielen waren und sind begrenzt im Maße ihrer institutionellen Bindung an das Radio und insbesondere an damit zusammenhängende technische, urheberrechtliche und wirtschaftliche Gegebenheiten. Dies schloß schon in der Frühzeit des Radio und des Hörspiels, in den zwanziger Jahren, nicht die Verwendung von vorproduzierten Schallplatten aus, die während live übertragener Hörspielaufführungen auf live bedienten Schallplattenspielern abgespielt wurden. Andererseits wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, live-Sendungen von Hörspielen auf Schallplatten mitzuschneiden und sie so technisch reproduzierbar zu machen. (Versuche der Konservierung auf Film-Ton-Band blieben damals vereinzelte Ausnahmen.) Dennoch blieb die massenhafte Reproduktion von Hörspielen und ihre Verbreitung auf dem Tonträgermarkt von den zwanziger Jahren bis zu den frühen neunziger Jahren ein Ausnahmefall (ungeachtet der Tatsache, daß die technische Faktur der Hörspiele ihrer Verbreitung über Tonträger nicht weniger angemessen ist als der Übertragung im Radio; schon aus den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sind kommerziell vertriebene Phonographen-Aufnahmen erhalten geblieben, die in den Konstellationen von Stimme/Sprache, Geräusch und Musik bereits die Dramaturgie von Hörspielen der zwanzigen und frühen dreißiger Jahre vorwegnehmen). Die Archivierung von Hörspielen und Schallplatten (seit den zwanziger Jahren) und Tonbändern (seit den frühen fünfziger Jahren) hat am Primat ihrer radiophonen Verbreitung nur wenig geändert.

f) In Analogie zum Schauspiel wird das Hörspiel in der Regel als zusammenhängendes Stück längerer Dauer angenommen; für Ausnahmen von dieser Regel gibt es besondere Bezeichnungen (z. B. "Kurzhörspiele" oder - im WDR-Repertoire der frühen siebziger Jahre - "Hörspots" oder - in einer als Anthologie angelegten WDR-Produktion von Gerhard Rühm - "Kurze Hörstücke").

g) Die Unterscheidung zwischen den Bereichen Stimme/Sprache, Geräusch und Musik setzt voraus, daß aufgenommene Klänge durch technische Verarbeitung nicht so stark verfremdet werden, daß die eindeutige gehörsmäßige Zuordnung zu einem dieser Bereiche unmöglich oder unsicher würde (z. B. im Falle geräuschhaft verfremdeter Musik, von durch technische Verfremdung dem Geräusch oder der experimentellen Musik angenäherten Sprache oder von durch spezielle Modulationen, z. B. unter Verwendung eines Vocoders, der Sprache angenäherten Geräusch- oder Musikaufnahmen). Sobald durch Mikromontage oder weitgehende klangliche Verfremdung die Herkunft von Sprach- oder Geräuschaufnahmen unkenntlich wird, ist die Möglichkeit einer klaren Abgrezung zwischen Hörspiel/Akustischer Kunst einerseits und Musik andererseits in Frage gestellt.

h) Technisch produzierte Hörkunst kann sich als Hörspiel oder Akustische Kunst lösen von Werkstrukturen und Vermittlungsbedingungen sowohl der traditionellen Literatur als auch der traditionellen Musik. Die Werke existieren primär als klangliche Realisation - nicht als Texte oder Notationen, die der live-Aufführung bedürften, um hörbar zu werden. Selbst dann, wenn Autoren von schriftlichen Vorlagen ausgehen wie etwa John Cage in "Roaratorio" (1979) oder Mauricio Kagel in fast allen seinen seit 1969 entstandenen Hörspielen, kommt in der Regel das definitive Hörwerk erst dadurch zustande, daß der Komponist selbst nach Maßgabe seiner schriftlichen Vorlage die Realisation durchführt (entsprechend der vor allem im HörSpielStudio bzw. im Studio für Akustische Kunst des WDR seit 1969 dominierenden Schwerpunktsetzung "Komponisten als Hörspielmacher").

i) Musik als abgrenzbarer Bestandteil eines Hörspiels tendiert zur Begrenzung auf traditionelle Funktionen, die ihrerseits vergleichbar sind mit traditionellen, aus der Stummfilm-Begleitimprovisation entwickelten Funktionen der Filmmusik. Musik im umfassenden Sinne - als universelle Klangkunst, die auch Stimm- und Sprachlaute sowie Umweltgeräusche in ihre Strukturen zu integrieren vermag - tendiert nicht zur additiven Einbindung in, sondern zur integrativen Verschmelzung mit Hörspiel und Akustischer Kunst.

B. Musik - Radio - Akustische Kunst

BI. Allgemeines

Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Musik und Akustischer Kunst wirft andere Fragen auf als die Frage nach dem Verhältnis beider Bereiche zum Radio. Dem Wortsinne nach könnte man die Musik als eine speziellere Disziplin, die Akustische Kunst als eine sie enthaltende und über sie hinaus reichende Disziplin ansehen. Im tatsächlichen Sprachgebrauch trifft dies allerdings nicht zu - und zwar vor allem deswegen, weil der Begriff der Akustischen Kunst meistens nicht in so umfassendem Sinne verwendet wird, sondern in engerem Sinne - in einer Spezifizierung, die sich orientiert an den besonderen Bedingungen der technischen Klangübermittlung und Klangproduktion, wie sie sich im 20. Jahrhundert durchgesetzt haben, besonders sinnfällig im Medium Radio. Unter diesem Blickwinkel ließe sich die Akustische Kunst definierten als medienspezifische Hörkunst im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit und Produzierbarkeit - gleichsam als auditives Korrelat zu den visuellen Disziplinen der technisch reproduzierten und produz9ierten Bilder, der Photographie und des Films. Das Verhltnis zwischen Musik und Akustischer Kunst ließe sich insofern unter ähnlichen Verhältnissen untersuchen wie das Verhältnis zwischen Malerei und Photographie oder zwischen Theater und Film. In diesem Vergleich kann allerdings auch deutlich werden, daß die Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert sich in vielen Aspekten von der Entwicklung der traditionellen Bildenden Künste unterscheidet: Die Kunst der technisch produzierten Klänge hat sich von der Musik nicht so weit entfernt wie etwa die Kunst der technisch produzierten Bilder von der Malerei. Im Gegenteil: Technische Veräünderungen haben vielfach dazu geführt, daß sich neue klangliche Entwicklungen nicht abseits der Musik, in neuen, technisch geprägten Hörkünsten vollzogen, sondern in der Musik. Technisch produzierte Klangkunst entwicklete sich in vielen Fällen als Konsequenz innermusikalischer Entwicklunglen. Die Frage, ob diese Entwicklungen die Grenzen der Musik sprengen könnten, ließ sich zunächst in vielen Fällen nicht klar beantworten. Die Frage nach dem Verhältnis der musikalischen Entwicklung einerseits zur Entwicklung der Akustischen Kunst, andererseits zur Entwicklung neuer Techniken und neuer technischer Medien (z. B. des Radios stellte sich im 20. Jahrhundert häufig als Frage nach innermusikalischen Veränderungen, deren Konsequenzen womöglich über die Musik selbst hinausweisen konnten.

BII. Das Radio als Medium der technischen Übermittlung von Hörereignissen

Die Frage könnte sich stellten, ob und inwieweit die Akustische Kunst an die Produktions-, Kommunikations- und Verbreitungsmöglichkeiten des Radios gebunden ist:

- an ein verstreites (disperses) Publiku; an Adressaten, die das Hören nicht selten (in mehr oder weniger weitgehender individueller Vereinzelung) als Sekundärtätigkeit praktizieren;

- an die Verbreitung zu einer festen Sendezeit innerhalb einer vorgegebenen Programmstruktur;

- an rundfunkspezifische Produktionsbedingungen.

Die Besonderheiten der radiophonen Musikwiedergabe im Verhältnis zur Musikwiedergabe über Tonträger sind seit den Anfängen des Radios in ständiger Veränderung - eben so wie die Beziehungen der rein akustischen Übermittlunlg unsichtbarer Lautsprecherklänge zu multimedialen, insbesondere zu audiovisuellen Präsentationsmöglichkeiten. Die klangliche Vorproduktion von radiophonen Klängen kann die spezifisssch radiophonen Möglichkeiten der live-Übermittlung von Hörereignissen an ein verstreutes Massenpublikum nicht weniger einschneidend modifizieren als veränderte technische Möglichkeiten der Rezeption, nach denen Hörer nicht mehr an eine feste Sendezeit gebunden sein müssen, sondern Sendungen vorprogrammiert aufnehmen und das Aufgenommene dann beliebig oft bei späteren Gelegenheiten abhören können - wie andere Klangkonserven auch. Die Frage, ob im Radio gesendete Klänge anders strukturiert sein könnten oder sollten als Klänge, die auf Tonträgern vertrieben werden, ist in der Entwicklungsgeschichte des Radios nur selten gestellt worden.

BIII. Akustische Kunst als integrative Hörkunst des technischen Zeitalters

Akustische Kunst entwickelt sich aus neuen Möglichkeiten der Emanzipation des Klangmaterials in unterschiedlichen Klangtypen und Klangeigenschaften sowie in neuen Möglichkeiten der Integration verschiedener Bereiche der Musik, des Sprache und des Geräusches - als mediale universelle Klangkunst.

- Im Bereich der Musik schafft Akustische Kunst neue Gestaltungsmöglichkeiten auf verschiedenen Wegen: Einerseits ermöglicht sie die Befreiung der Hörerfahrung von tradierten Mustern musikalischer Ordnungen des Rhythmus, der Melodie und der Harmonie sowie des Kklanglichen (durch die differenzierte Verwendungen sei es von Instrumenten und instrumentalen Spieltechniken, sei es von Sprech- und Singstimmen - jeweils in einem breiten Spektrum unterschiedlicher Möglichkeiten von der dokumentarischen bis zur technisch verarbeiteten Aufnahme; in einer Radikalisierung traditioneller Konzeptionen der absoluten Musik, quasi als Musikalisierung der Musik). Andererseits kann sich Akustische Kunst realisieren in der Überwindung ästhetischer Abgrenzungen zwischen Musik, Sprache und Geräusch - und insofern auch in neuartigen Möglichkeiten einer Semantisierung der Musik.

- Im Bereich von Stimme und Sprache hat sich eine Emanzipation der klingenden Sprache von schriftlich fixierbaren sprachlichen Strukturen vollzogen - sei es als musikalisch-klangstrukturelle Entsprachlichung; sei es, in der Integration verbaler und nonverbaler Kommunikation, als klangexpressive Entsprachlichung (z. B. durch die Freisetzung von Atem und Schrei in Produktionen von Francois Dufrène und Pierre Henry).

- Im Bereich der Geräusche haben sich neue integrative Möglichkeiten ergeben, die das Geräusch nicht nur im physikalischen Sinne betreffen(d. h. als ein Hörereignis, dessen Tonhöhe man nicht klar auf einen einzigen Wert festlegen kann), sondern auch im Sinne der traditionellen Hörspieldramaturgie (als Hörereignis, das auf einen realen Vorgang verweist). Auch in diesem Zusammenhang erscheinen gegenläufige Tendenzen einerseits der Musikalisierung, andererseits der Semantisierung des Geärusches in seinen unterschiedlichen Bedeutungsfelden.

Noch weiter führen verschiedene Möglichkeiten der materialen Integration - der Verbindung der Bereiche von Musik, Sprache und Geräusch in unterschiedlichen Konstellationen, z. B.

- bei der Verbindung von Musik und Sprache als Versprachlichung der Musik oder als Musikalisierung der Sprache, in wechselseitigen Anpassungen des einen der beiden Bereiche an den anderen;

- bei der Verbindung von Musik und Geräusch als musikalische Integration (in der Verbindung der Musik mit Geräuschen im physikalischen Sinne) oder als semantische Integration (in der Verbindung der Musik mit Geräuschen im Sinne der traditionellen Hörspiel-Dramaturgie);

- bei der Verbindung der Bereiche Sprache und Geräusch etwa als Musikalisierung der Sprachlaute (d. h. ihre Behandlung im Sinne des physikalischen Geräusches unter dem Aspekt "Sprache als (physikalisches) Geräusch" - oder umgekehrt in sprachähnlichen Verwendungen von Geräuschen, etwa bei Pierre Henry mit Geräuschen einer quietschenden Tür als Ausdruck unterschiedlicher menschlicher Aktivitäten, Erfindungen und Erfahrungen, so daß die Türgeräusche in Variations pour une porte et un soupir als Mikrokosmos der Hörwelt unter dem Aspekt "Geräusch(e) als Sprache" erscheinen.

- Die Integration von Sprache, Musik und Geräusch kann sich verbinden mit Tendenzen multimedialer Öffnung, die über die Grenzen der Akustischen Kunst hinausführen.
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