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7.16.1.3 DS1.DOC

Rudolf Frisius

EIN FORUM NEUESTER MUSIK

Die Donaueschinger Musiktage

Wer sich für aktuelle Entwicklungen im Bereich der Künste interessiert, ist nicht nur verschiedenen Stilen und Künstlerpersönlichkeiten konfrontiert, sondern auch der Vielfalt des Gleichzeitigen, wie sie sich etwa im Bereich der Musik in ihren wichtigsten Kommunikations- und Aufführungszentren widerspiegelt. Unter den international renommierten Zentren Neuer Musik ist im Kontext der Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts den Donaueschinger Musiktagen eine Schlüsselrolle zugefallen. Dies lag nicht zuletzt daran, daß es hier gelungen ist, zur rechten Zeit Raum zur Durchsetzung des Neuen, die Grenzen des konventionellen Musikbetriebes Sprengenden zu schaffen - Alternativen zum Tradierten, in den Schreckensjahren der Weltkriege fragwürdig Gewordenen. In den zwanziger Jahren konzentrierten sich die Aktivitäten auf neue Kammermusik, wobei dem jungen Paul Hindemith ein Schlüsselrolle zufiel - nicht nur in seinen eigenen kompositorischen Beiträgen, sondern auch durch sein Engagemant bei der Programmgestaltung der Musiktage, das sogar radikalsten Novitäten von Schönberg und Webern zu Gute kam. Was damals nur für wenige Jahre gelang, wurde nach dem zweiten Weltkrieg unter günstigeren Vorzeichen neu begonnen und hat sich seitdem über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich weiterentwickelt. Maßgeblich für den Erfolg war es, daß die örtlichen Veranstalter die Zusammenarbeit mit dem Südwestfunk suchten. Dadurch ergaben sich neue aufführungspraktische Möglichkeiten, insbesondere durch die Einbeziehung des Orchesters. So wurde es seit den fünfziger Jahren möglich, wichtige Orchesterwerke nicht nur der klassischen Moderne (z. B. Hindemith, Strawinsky und Schönberg), sondern auch von damals jüngeren Komponisten in Donaueschingen bekannt zu machen: Von Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis waren in den frühen fünfziger Jahren skandalumwitterte Uraufführungen instrumentaler Werke zu hören. Im folgenden Jahrzehnt setzten vor allem Krzysztof Penderecki und György Ligeti mit Uraufführungen spektakulärer Orchesterwerke neue Akzente. Seit den siebziger Jahren suchte Wolfgang Rihm in expressiven Orchesterwerken nach neuen Wegen. - Viele renommierte Komponisten aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts sind in Donaueschingen auch mehrfach zu hören gewesen, so daß ihre kompositorische Entwicklung dort in verschiedenen Stationen dokumentiert werden konnte, sei es in neuen Perspektiven, sei es in der Weiterführung früherer Ansätze - etwa in Spätwerken Luigi Nonos aus den achtziger Jahren, die sich im Instrumentalen und in der mikroskopisch feinen live-elektronsichen Verarbeitung auf das Innenleben der Klänge konzentrieren, oder im live-elektronischen work in progress "Répons" von Pierre Boulez, das (ähnlich ambitioniert wie die 1958 uraufgeführte, später zurückgezogene vokal-instrumental-elektronische Komposition "Poésie pour pouvoir") nach Möglichkeiten der Verbindung vokaler und technisch produzierter Klänge sucht.
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