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7.40 MULTIMEDIALE 4 - Die Farben des Fremden


Rudolf Frisius

"Die Farben des Fremden"

Anmerkungen zu einem Konzert der "MultiMediale 4" (Karlsruhe, 17. Mai 1995, Stephansaal)

"Die Farben des Fremden": Unter diesem Titel stand ein Konzert mit dem "Trio accanto" (Marcus Weiss, Saxophon; Yukiko Suguwara, Klavier; Christian Dierstein, Schlagzeug), auf dem, außer einer instrumentalen multikulturellen Stilcollage von Manfred Stahnke ("Harbor Town Love At Millenium´s End") drei neue Produktionen des ZKM-Instituts für Musik und Akustik zu hören waren. Den Schwerpunkt des Programms bildeten, flankiert von Stahnkes Instrumentalmusik und einer vierkanaligen Studioproduktion von Ludger Brümmer ("Ambre, Lilac"), zwei Kompositionen, in denen sich Möglichkeiten der elektroakustischen Klangerzeugung und -verwandlung verbinden mit live gespielten Instrumentalpartien. Ramón Gonzáles-Arroyo ("Charybdis´ Muse and Scylla´s Bloom") und Gerhard E. Winkler ("Les Chambres Séparées") entwickelten dabei durchaus unterschiedliche Ansätze in der Gewichtung und Faktur des Instrumentalen und in der Bestimmung seines Verhältnisses zur Elektroakustik:

Ramón González-Arroyo gestaltet zwei offensichtlich unterschiedliche Klangwelten - mit unterschiedlichen Techniken der Auswahl und Ausgestaltung des Klangmaterials, bezogen auf verschiedene kompositorische Traditionen der Neuen Musik. Die drei Instrumentalpartien seiner Komposition sind stark geprägt von Stilmustern und Spieltechniken, wie man sie aus avantgardistischer Instrumentalmusik früherer Jahrzehnte kennt (z. B. mit multiphonen Saxophonklängen, mit einfachen Läufen und Akkordmustern in Klavier und Schlagzeug), während die vorproduzierten Klänge sich deutlich von der instrumentalen Gestik abheben mit Klangfärbungen und Gestaltbildungen, wie sie sich seit den Anfangsjahren der computergenerierten Tonbandmusik entwickelt haben.

Ganz anders geht Gerhard E. Winkler vor. Ihm geht es um komplexe Wechselbeziehungen zwischen live gespielten und elektronisch transformierten Klängen. Um diese Beziehungen möglichst komplex zu gestalten, schreibt er für die drei beteiligten Spieler Partien,die nicht in allen Merkmalen exakt festgelegt sind und die in unterschiedlicher Auswahl und Abfolge gespielt werden können. So ergeben sich für die beteiligten Spieler interpretatorische Spielräume, die so genutzt werden sollen, daß der Hörer Reaktionen auf die elektroakustischen Transformationen wahrnehmen kann. - Auffällig ist, daß Winkler in seinen Notationen vor allem die "klassischen" kompositorischen Dimensionen genauer fixiert, nämlich Bestimmungen von Zeitwerten und Tonhöhen (wobei im letzteren Falle für Schlaginstrumente mit unbestimmten Tonhöhen über weite Strecken hinweg nur ungefähre Geräuschlagen festgelegt sind). Die Interpreten haben allerdings die Möglichkeit, die so notierten Partien ("scorefiles") gleichsam als Rohmaterialien zu behandeln, aus denen sie geeignete Materialien heraussuchen und miteinander verbinden. Hierzu schreibt der Komponist: "Die scorefiles müssen nicht jeweils vollständig gespielt werden, auch ist die Reihenfolge beliebig bzw. soll in Rücksicht auf die Klangtransformationsprogramme gewählt werden." Wenn diese Freiheiten von jedem Spieler in seiner Weise genutzt werden, kann sich ein einerseits im Triosatz sehr disparates, andererseits in den live-elektronischen Verfremdungen (Verzögerung, Verfremdung, räumliche Verteilung) relativ einfaches und sinnfälliges Erscheingsbild der Musik ergeben, bei dem die klanglichen Resultate weitgehend dem entsprechen, worauf der Hörer durch zuvor Gehörtes bereits vorbereitet ist (während andererseits die Vielfalt der interpretatorischen Gestaltungsmöglichkeiten sich im unmittelbaren Höreindruck einer einzigen Version nicht unmittelbar erschließt).

Die Studioproduktion "Ambre, Lilac" von Ludger Brümmer unterschied sich deutlich von den instrumentalen und instrumental-elektronischen Beiträgen des Programms. Auch dieses Stück geht, wie der Komponist mitteilt, von instrumentaler Musik aus: "Ausgangspunkt... ist ein kleiner, zwei Minuten langer Ausschnitt aus einer indischen Raga, in dem eine Sitar und eine Tampoura erklingen." Dieses Ausgangsmaterial wird aber in der elektroakustischen Verarbeitung so weitgehend verändert, daß sich vollkommen neuartige, weit über den "instrumentalen" Gestus hinausführend Klangschichtungen und Klangprozesse ergeben. Komplexe und abwechslungsreiche Klangbewegungen verbinden sich dabei mit einem bunten, allerdings in manchen Bereichen (vor allem in der tiefen Lage) manchmal auch etwas diffusen Klangbild. So zeigen sich die Schwierigkeiten, aber auch die Reize einer Klangwelt, die der Komponist imaginiert als groß dimensionierte "sich bewegende Klangquelle", als monumentalen Klangkörper.

Musik und Technik können sich in unterschiedlichen Erfahrungsbereichen begegnen: Im Medium der technifizierten Instrumentalmusik und im Medium von Klangproduktionen, die stark geprägt sind von den Möglichkeiten moderner Studiotechnik. Der rein instrumental erzeugte und der technisch (vor-)produzierte Klang präsentieren sich in diesem Zusammenhang als Extremfälle in einer breiten Skala unterschiedlicher Möglichkeiten der Vermittlung, Kombination und Wechselwirkung. Das interpretatorisch vielfältig Variable und das technisch eindeutig Fixierte können einander konfrontiert, aber auch vielfältig aufeinander bezogen und miteinander vermittelt werden. Das Konzertprogramm "Die Farben des Fremden" zeigte dies in einer Zusammenstellung mit unterschiedlichen Akzentsetzungen und ästhetischen Positionsbestimmungen - im Verweis auf noch offene Fragen ebenso wie in Andeutungen künftiger Möglichkeiten der Weiterentwicklung.
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