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4.11 Hommage Iannix Xenaiks: Klaviermusik - Hörspiel


HOMMAGE A IANNIS XENAKIS:

KLAVIERMUSIK - HÖRSPIEL

Dienstag, den 4.4.1995, 17.30 Uhr, Orangerie

Einführung in HERMA (Rudolf Frisius, Marianne Schroeder)

HERMA für Klavier solo (1961)

Marianne Schroeder, Klavier

Einführung in POUR LA PAIX

mit Beispielen aus der deutschen Fassung des Hörspieltextes

(Rezitation: Korinna Rahls, Bettina Davidenkoff

Thomas Holtmann, Rudolf Frisius)

POUR LA PAIX, Hörspiel (1981)

Text: Francoise Xenakis

Rezitation: Francoise Xenakis, Danielle Delorne

Philippe Bardy, Maxence Maylfort

Chor: Choeurs de Radio France

Leitung: Michel Tranchant

Elektroakustische Klang- CEMAMu Paris

produktion:

Endproduktion: Studio INA / GRM

Assistenz: Daniel Teruggi

Klangreste der Darmstädter Alexander Schwan

Aufführung:

Rudolf Frisius

Herma-Pour la Paix

Zwei markante Wendepunkte in der kompositorischen Entwicklung von Iannis Xenakis

Herma

Iannis Xenakis ist in den fünfziger Jahren bekannt geworden als Komponist, der dichten Glissandi, der massierten Geräusche, der nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen kalkulierten Massenstrukturen, von Werken für großes Orchester oder für elektroakustische Klänge. Spätenstens seit den frühen sechziger Jahren wurde erkennbar, daß sich im Musikdenken von Xenakis auch diametral entgegengesetzte Ansätze finden lassen. Besonders deutlich wird dies in Herma für Klavier solo - einer Komposition, die nicht von dicht massierten Tonkurven oder Tonpunkten ausgeht, sondern vom Tonvorrat eines einzigen Instruments: Xenakis hat sich die gesamte Klaviertastatur als eine vielstufige Skala vorgestellt - als "Tonmenge" im mathema-tischen Sinne, deren einzelne Tonhöhen mit dem Computer berechnet werden können (nach Prinzipien des gelenkten Zufalls, wie sie in der Wahrscheinlichkeitsrechnung mathematisch formalisiert werden können). Die große Vielfalt des gesamten Tonvorrats strukturiert Xenakis im Anfangsteil seines Klavierstückes dadurch, daß er sie in eine großangelegte Steigerung einbindet. Iim weiteren Verlauf des Stückes ergeben sich Strukturierungen und Gliederungen daraus, daß Xenakis aus der Gesamtmenge aller verfügbaren Töne verschiedene "Teilmengen" herausfiltert, in denen der Tonvorrat stärker eingeschränkt ist. Diese verschiedenen Teilmengen sind deutlich voneinander unterscheidbar, weil Xenakis sie durch verschiedene Lautstärken voneinander abgegrenzt hat. Die wechselnden Lautstärken setzen wichtige Orientierungsmarken - ebenso wie der Wechsel verschiedener Dichtegrade (d.h. verschiedener Tonanzahlen pro Zeiteinheit - mit den Extremfällen einerseits eines vereinzelten, z.B. lange ausgehaltenen Tons oder Akkordes, andererseits einer dichten "Wolke" rasch aufeinander folgender und / oder dicht überlagerten Töne).- Ein differenzierter Tonverlauf ergibt sich daraus, daß Xenakis verschiedene "Teilmengen" von Tönen zwar zunächst deutlich nebeneinanderstellt, aber später auch in zunehmend enge Beziehungen zueinander bringt: Das zunächst vereinzelt Vorgestellte wird später eingebunden in vielfältig miteinander vernetzte Beziehungsgeflechte. Die konstruktive Basis hierfür findet Xenakis ins der elementaren Operationen der Mengenlehre: Übergang zur Komplementärmenge (d.h. zu allen "restlichen", nicht in der Ausgangsskala enthaltenen Tönen) - Übergang zur Vereinigungs-menge (d.h. zu allen Tönen, die bei zwei gegebenen Ausgangsskalen der einen oder anderen angehören: Erweiterung der Tonvorrats) - Übergang zur Schnittmenge (d.h. zu denjenigen Tönen, die zwei gegebenen Ausgangsskalen gemein sind: Reduktion des Tonvorrats).

Herma ist die erste Komposition von Iannis Xenakis, die die mathematisch fundierten Strukturen seiner "formalisierten Musik" (einschließlich ihrer Konkretisierung in mit dem Computer berechneten Partiturdaten) auf einem Soloinstrument realisiert. Die Hinwendung zu kleineren Instrumentalbesetzungen, zu der sich erste Ansätze bereits in den fünfziger Jahren finden lassen (in verschiedenen computerberechneten stochastischen Partituren, deren Anfänge bis in das Jahr 1956 zurückreichen), erreicht in Herma seinen Höhepunkt, der zugleich einen wichtigen Wendepunkt in der kompositorischen Entwicklung von Iannis Xenakis markiert.

Pour la Paix

Das Hörspiel Pour la Paix ist eine Komposition besonderer Art - und zwar nicht nur im Kontext der elektroakustischen Produktionen des Komponisten, sondern auch im Zusammenhang seines Gesamtwerks: Unter den Werken mit computergenerierten Klängen, die Xenakis seit den siebziger Jahren realisiert hat, nimmt das Stück schon deswegen eine Sonderstellung ein, weil es einerseits Computerklänge mit durchaus andersartigen Klangmaterialien konfrontiert (mit Chorgesangs-Sequenzen und Sprechtexten) und weil hier andererseits Computerklänge, Chorgesang und Sprechtexte offensichtlich nicht nur innermusikalische sondern auch semantische Funktionen erfüllen: Die Sprechtexte beschreiben, wie der Krieg das leben der Menschen zerstört, zwei junge Freunde auseinanderreißt, der Mutter ihr kleines Kind raubt, die Kämpfenden pervertiert in Rohheit oder Feigheit, in brutalen Sadismus oder in wilden Fanatismus selbst in völlig aussichtloser Lage. Die Computerklänge sind Klangbilder des grausamen Krieges, aber auch der verlorenen Jugend der Freunde, die jetzt in feindlichen Armeen gegeneinander kämpfen müssen. Xenakis verwendet sie in ähnlicher Funktion wie die Instrumente in seiner Theatermusik "Oresteia", einem Schlüsselwerk der sechziger Jahre. Genau entgegengesetzt ist die Funktion der Chorsequenzen: Der Chorgesang ist nicht Bestandteil der Handlung, sondern ihr lyrischer Kommentar - vergleichbar den Chorliedern der griechischen Tragödie und auch vielen Chorpassagen, die Iannis Xenakis für verschiedene altgriechische Tragödien komponiert hat.

In "Pour la Paix" verbindet sich aristotelische Dramaturgie mit Gestaltungsprinzipien des modernen Hörspiels. Xenakis konfrontiert zwei Frauenstimmen, die von den Schrecken des Krieges berichten, mit den Stimmen der beiden jungen Freunde. Die Computerklänge und die Chorsequenzen konkretisieren Widersprüche, Wiedersinnigkeiten und Wirdersprüchlichkeiten des Krieges, die die Sprechtexte von Francoise Xenakis kompromißlos, ohne den geringsten Versuch der Beschönigung benennen. Die schonungslose Darstellung dessen, was ist, war und sein wird, wird zur vehementen Anklage gerade dadurch, daß sie jegliches versöhnendes Moralisieren strikt vermeidet.

Erfahrungen mit Terror, Gewalt und Krieg, die der junge Xenakis in stochastischen Massenstrukturen gleichsam verteilt hatte, artikulieren sich unverhüllt in seiner Musik der frühen achtziger Jahre - in der Verbindung von Sprechtexten mit semantisch gebundenen Sequenzen von Chorgesang oder von Computerklängen. Die musikalsiche und ästhetische Neubestimmung führt von der Sprech - und Singstimme bis zum computergenerierten synthetischen Klang. In ihrem dramatischen Appellcharakter markiert diese Komposition einen wichtigen Wendepunkt im Kontext der kompositorischen Entwicklung von Iannis Xenakis.

Iannis Xenakis

Pour la Paix

Die einzelnen Menschen sind, ohne es zu wissen, Gefangene der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Staaten, in denen sie arbeiten müssen - blindlings in einer Maschinerie, die Leben und Geschicke zerstört.

Das leise Heimweh von zwei jungen Männern, schon von früher Jugend an miteinander befreundet und jetzt als Soldaten in befeindeten Heeren eingezogen, es ist nichts vor den entsetzlichen Grausamkeiten des nicht enden wollenden Krieges.

Wieviel Leiden für nichts!

Diese Seufzer der Erinnerung-

Sie retten beide nicht davor,

daß sie allzu früh ins tödliche Verderben rennen.

Das ist die Spur des Textes, der zwei Schriften von Francoise Xenakis entnommen ist.

"Ecoute"("Höre") -

"Et alors les morts pleureront"("Und dann werden die Toten weinen")

Die Musik wurde zum großen Teil auf dem UPIC-System der CEMAU komponiert (UPIC = unite polyagogique Informatique du Centre d'Etudes de Mathematique et Automatique Musicale. Das UPIC ist ein digitales System, das es erlaubt, mit gezeichneten Vorlagen Musik zu produzieren.)

"Pour la Paix" ("Für den Frieden") ist ein Auftragswerk von Radio France für ein Kozert der UER (Union Europeenne de Radiodiffusion), das später auch von Radio France für den Prix Italia eingereicht wurde.

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