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4.12.1 Pour la Paix


IANNIS XENAKIS: POUR LA PAIX

Frau 1 = F1

Frau 2 = F2

Mann 1 = M1

Mann 2 = M2

F1 Ein Krieg. In zerrissenen Sätzen, in Bildern, in Couplets. Da ist er in seinem Grauen, der Krieg. Grausamkeiten, Massaker,

Folter, unendliches Leiden der Männer, der Frauen. Wir sind irgendwo. Da, wo man henkt, erschießt, massakriert.

Jetzt ist die Feuerpause offiziell. Es ist die zweite in 48 Stunden. Und sie wird genauso lange dauern wie der erste:

einige Stunden. Die da oben verlangen, daß die Waffen um

18.45 schweigen sollen.

Jetzt kämpfen sie stumm mit dem Messer, und der Sand deckt sie zu:

Kleine Brüder - bedeckt von demselben Bettuch, dem Sand.

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F2 5 Jahre, 6 Jahre.

Sie kamen aus demselben Ort und sie kannten sich besonders gut. Damals, auf einem Fest hatte man zwei Kinder gesucht, die gleich groß waren und in Froschkostüme paßten mit schwarzen

und weißen Karos. Sie trugen sie mit orangefarbenen Ohren aus

Plastik. Warum wohl?

F1 Jetzt sind sie Kindersoldaten, jeder in ein anderes Heerlager gezwängt. Sie hatten sich verloren.

Sie führen Krieg und töten, aber jeder sucht den anderen, den er verloren hat, vor drei oder vier Jahren?

F2 Höre den Wind in den Wipfeln der Bäume. Den Wind, der die Toten zaust, deren Helme fortgerollt sind.

Den Wind, der die Gesichter streichelt und die Haare zaust.

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M1 Wenn er ihn träfe, würde er es ihm sagen. In jedem Loch,

an jeder Kreuzung sucht er ihn, will er ihn abpassen: seinen

Freund.

Wer kann am weitesten schwimmen?

Die Grotte.

Der Weg durch die Grotte -

und ihre Körper, blau vor Kälte, die sie gegeneinander preßten;

der Sand, den sie gerne niederrinnen ließen und der im Flaum der Haare steckenblieb;

einer von beiden, der den Spuren mit den Fingern folgte.

Ihre eingebildeten Ängste.

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M2 Müde. Ein langer, harter Marsch. Für nichts. Als sie ankamen, hatten die meisten sich schon längst davongemacht.

Die Lagerfeuer waren schon lange kalt.

Er hatte sich von den anderen abgesetzt.

Er konnte nicht schlafen, mit dem Gesicht am Boden.

Tausend kleine Bilder ließ er an sich vorbeiziehen.

Der Hund.

Damals, bei der Nachtwache, hatte er bei seinem Freund auf der Terrasse geschlafen, und sie hatten entschieden, daß sie dem kleinen Hund, der ins Haus gekommen war, das Schwimmen beibringen wollten.

Und wenn ich ihn jetzt hier wiederfände?

Gestern, als es hieß, es gäbe einen Vereinigungsmarsch, war ich

fast sicher, daß er dort sein würde.

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F1 Kauernd, nah am wilden Fluß-

eine Frau wäscht ihr kleines Kind in einer Schale mit ruhigem Wasser.

Ihr rosa Rock ist zwischen den Beinen weit ausgespannt - eine Hängematte für das nackte Kind.

Eine Hand unter dem Kopf des Kindes;

die andere - wie eine Schale- schöpft das Wasser und läßt es sanft über den kleinen Körper fließen. Manchmal spreizt sie die Finger dieser Hand, die ihr als Schale dient.

Sie weist das Wasser zurück.

Sie will nur Wasser, reines Wasser, um ihr Kind zu waschen.

Ihr Kind ist tot.

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M2 Ich marschierte und ich sagte mir:

Wenn er da ist, hauen wir zusammen ab.

Irgendwie werden wir schon desertieren.

Die anderen sollen das nennen wie sie wollen:

"Du bist ja total verrückt!"

Er war immer der Verrücktere von uns beiden.

Und dann habe ich ihm meine Hand auf die Stirn gelegt und

mit dem Zeigefinger habe ich ihm auf die Schläfe gedrückt.

"Du bist total verrückt"-

und ich lachte ihn an.

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F1 Sie singt. Und dabei kämmt und streichelt sie sanft die kleinen Seidenhaare, die immer noch wachsen, und ihre Hände sind rot

von dem Blut, das aus dem kleinen Hals läuft.

Mehr gibt es nicht mehr von diesem Körper.

Und als die Leute, die das Dorf säubern sollten, auf sie zukamen, hat die Frau immer noch weiter gekämmt und gesungen.Ihr Augen blicken immer noch starr, als die anderen ihr schon längst zu nahe gekommen waren:

Mit ihren Gewehrkolben, mit ihren Knien, mit ihren Gerüchen.

Die beiden Abkommandierten brauchten lange, bis sie endlich den Befehl ausführten.

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M1 Er hält an. Er will und kann nicht mehr weiter -

seit seiner Kindheit hat er es schon verstanden, sich lautlos davonzumachen.

Jetzt - auf dem Marsch, der bis zum Morgengrauen dauern soll - hört er seine Chefs flüstern.

Da wären noch Hunderttausende von Menschen -

tagsüber eingekreist und im Feuer, nachts versteinert, ohne Nahrung, ohne Wasser. Seit drei Tagen.

Die, die sie eingekreist hatten und die, die sie nicht unterstützt hatten, in dieser harten, strategisch aussichtslosen

Schlacht - beide Parteien würden zusammenkommen und einen

Waffenstillstand abschließen.

Wenn es doch Kugeln aus Brot, Kanister aus Blut und Wasser regnen würde, dann würden sie am Leben bleiben.

Er hatte sich einreden wollen, das sei ein Mißverständnis;

aber über diese Dinge belog er sich selbst, schon seit langem.

Nein, er hatte genau verstanden. Genau verstanden.

Und wenn er das dort wäre?

Im Sterben läge? Wegen Kälte, Hunger, Hitze?

Nein, er ist es nicht.

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F1 Vorgebeugt, auf den rechten Fuß gestützt, das Gewehr auf dem Schenkel, den Körper aufrecht:

Dieser Mann, im Gleichgewicht mit sich selbst, lacht laut, aber angestrengt.

Das Bajonett, das an sein Gewehr geschraubt ist, sichert sein Gleichgewicht.

Das Bajonett, das schon die Kleidung über einem weißen Oberkörper durchstoßen hat.

Der Mann muß fest zustoßen, die Haut und das Fleisch sind hart.

Verkrampfter Kiefer, aufgeworfene Lippen -

er müht sich ab , und der Schweiß rollt ihm von den Schläfen auf die Wangen.

Der aufgespießte Mann ist bleich geworden.

Seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt.

In einem lächerlichen Versuch der Verteidigung hat er die Beine angezogen, die Muskeln gespannt-

mit offenem Mund aber ohne irgendeinen Laut.

Und dann ein dumpfes Geräusch- der Schutzwall der Muskeln

hat nachgegeben.

Das Blut und das Heulen spritzen zusammen.

Der mit dem Gewehr kann ihn jetzt mühelos durchbohren.

Sein Körper entspannt sich, er lacht.

Das Bajonett, das durch den Rücken gedrungen ist, hat die Hände des Besiegten befreit.

Er streckt einen Arm aus. Er lebt noch, er will diesen Pfahl aus sich herausreißen. Aber Blut strömt aus seinem Mund.

Ein anderer Soldat, der gerade nichts zu tun hat, nagelt ihm mit dem Dolch die Hand auf die Brust.

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M1 Und wenn das jetzt bald vorbei ist?

Ich muß näher herankommen - aber wie?

M2 Und wenn das jetzt bald vorbei ist?

Ich muß näher herankommen - aber wie?

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M2 Am Ausgang eines Dorfes hatten wir uns verloren.

Die Götter, die es nicht gab, waren so wütend, daß sie die Leute denselben Krieg führen ließen, ohne sich zu sehen.

Ich werde seinen Geruch wiedererkennen.

Wie lange ist das schon her? Er lag unter der Ziegen, und ich führte den Euter.

F1 Höre den Wind in den Wipfeln der Bäume. Der Wind, der die Toten zaust, deren Helme fortgerollt sind.

Den Wind, der die Gesichter streichelt und die Haare zaust.

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M1 Sie hatten sehr schnell schwimmen und tauchen müssen, um die Grotte zu erreichen.

Sie wollten sich von den anderen trennen, weil sie ihnen zu laut waren, aber sie hatten den Durchgang verfehlt, und die Atemluft wurde knapp.

Keiner von beiden dachte daran, wiederaufzutauchen - dabei hätte doch ein einziger Beinschlag genügt.

Schließlich hatten sie doch die Spalte wiedergefunden, die zur Grotte führte und ihnen wieder Luft gab.

Wie zerschlagen waren sie und für kurze Zeit schliefen sie ein.

Dann, ein wenig später, hatte seine Hand die bronzefarbene

Schulter seines Freundes umfaßt, der nun auch erwacht war.

Mit den Augen lachten sie sich an. Sie streichelten sich.

Ja, sie hatten die gleichen Augen und sie liebten die gleichen Gerüche.

Sie waren Freunde, zärtliche Freunde. Sie begannen, gemeinsam

ihre Körper zu entdecken.

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F1 Haufen von lächerlichen Habseligkeiten liegen aufgeschlitzt an den Straßen.

Die Frauen liegen mit einem Tuch über dem Gesicht.

Die Männer hocken da mit dem Kopf auf den Armen, als wenn sie schon den Gnadenschuß im Nacken erwarteten.

Sie haben beschlossen, nicht mehr weiter zu gehen.

Sie wollen hier sterben.

F2 Ein Kind scheint weniger erschöpft zu sein, aber niemand und

nichts wird es dazu bringen, sich zu bewegen.

Sie waren mit 300 aufgebrochen, und dann: mehrmals die Flug-

zeuge; dann die Panzer; dann die Soldaten, die nicht mehr kämpfen wollten, und die auf dem letzten Wagen geflohen sind.

Vielleicht braucht es noch ein oder zwei Tage länger zum Sterben, aber es wird nicht fortgehen, das Kind.

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M1 Ich bin 15 Jahre und er auch fast...

Am Anfang des Winters sind wir weggegangen und wir wollten die Männer wiederfinden.

Plötzlich standen wir in 2 Soldatenguppen gegeneinander.

Ich suche ihn. Wie oft habe ich schon geglaubt...?

Ach, ich möchte es so gern!

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M2 Das größte Fest, das wir für uns vorbereitet hatten.

Wenn man es schafft, heimlich vor allen anderen tief in der Nacht den größten Teich zu erreichen.

Jeder wachte an einer anderen Ecke.

Ins Wasser ging es, sobald drei Enten weggeflogen waren -

nach sehr langen Diskussionen hatten sie sich auf die Zahl drei geeinigt.

Nackt; seitlich ins Wasser gestiegen, damit es uns noch besser durchdringt und unten am Bauch beißt.

Sie mußten es sich gar nicht erst sagen -

sie liebten das Zögern, das in diesem Moment immer kam; die Lust zusammenzuschrumpfen, sogar zurückzuweichen.

Und dann das Geräusch, wenn man den anderen schwimmen hörte. Die Gräser, die uns streiften.

Schneller. Schneller schwimmen, damit ich als erster am großen Grasbüschel ankomme. Da ist es.

Er wird noch gewinnen. Ich höre ihn. Er ist es. Seine Arme sind zu stark angewinkelt. Er hält seine Arme schlecht. Und trotzdem kommt er so rasch voran.

Dann richteten wir uns auf, und wir lachten Körper an Körper.

Und wir tauchten geradewegs bis zum Grund - das war die Regel.

Wir mußten zählen bis... ich weiß es nicht mehr.

M1 Als wir uns den Männern angeschlossen hatten, war er 15 Jahre und ich auch fast.

Dann haben wir uns verloren. Man hat uns nicht in dieselbe Einheit gesteckt. Warum?

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Aber um Gottes willen -

wenn doch dieses unerträgliche Warum und Wie enden würde.

Was soll das alles - hier inmitten unzähliger Schlachten?

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Mit den Bildern, die man in sich aufsteigen läßt, ist es ja auch nicht besser:

Damals war es so weit gekommen, daß sie sich weniger gesehen, daß sie sich sogar voneinander losgerissen hatten -

daß sein Freund zu lieben begonnen hatte - anders zu lieben.

M1 Schau auf die Luftblasen, Der Boden des Sees öffnet sich.

M2 Bist Du sicher?

M1 Ich sag es dir doch.

M1 Er sagte:

Wenn du Dich auf die Fußspitzen stellst, wirst Du das

Meer sehen.

Ich habe mich hochgereckt, aber ich habe nichts gesehen.

"Aber ich habe es gestern gesehen."

Er hätte es so gerne wirklich gesehen.

Vielleicht habe ich es nicht stark genug gewollt.

Wir bereiteten uns auf das größte Fest vor.

Wir waren ganz verwirrt, schon lange vorher.

Es ging darum, daß wir heimlich vor allen anderen und mitten in der Nacht durchkämen bis zum größten Teich.

Jeder stand auf seinem Posten.

Wir warteten, und wenn die Enten wegflogen...

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F1 Diesmal ist die Feuerpause offiziell.

Die Kämpfe sollen an allen Fronten eingestellt werden.

Im Kommando sind sie schockiert.

Heißt das Frieden? Höchstens doch Feuerpause.

Aber welcher Frieden?

Das war schon kein wirklicher Krieg, und es ist jetzt auch kein

wirklicher Frieden.

Er marschiert.

Seine Sinne verwirren sich, seine Bewegungen verkrampfen sich.

Die Wachen müssen ihn anrufen.

Achtung! Einteilung zur Patrouille! Der See soll bewacht werden!

Drei Mann sollen auf dem See bleiben und auf alles schießen, was sich bewegt.

Aber Herr Leutnant.....! Der Frieden!

F2 In einem anderen Lager, etwas weiter entfernt, gibt es ein Fest.

Die Flaschen sind geleert.

Frauen sind gekommen. Mit offenen Blusen.

Betrunken geht der Chef fort.

In der Ferne schläft der See. Friedlich.

Dann ein Windstoß, und schon haben die niedergedrückten

Gräser ihren Platz wiedereingenommen. Aufrecht. Stark.

Oben fliegen Enten. Aber das paßt noch gar nicht in die Jahreszeit...

Ohne Geschosse und ohne Leuchtraketen ist ihm der Himmel viel zu schwarz.

Er schwankt.

Dann, plötzlich ernüchtert, schreit er wieder auf:

"Sammeln! Eine Patrouille mit 9 Mann!"

Befehl, den See zu umzingeln und auf Sicht zu schießen.

Aber Herr Hauptmann, die Feuerpause.

Und die neun Männer - Algen unter Algen - umzingeln den See.

F1 Seitlich in den Teich einsteigen, damit das Wasser noch besser in den Körper eindringt.

Er taucht ein in den See, mit dem Gewehr in den erhobenen

Armen.

Wie immer jetzt wieder das Zögern, die Lust zusammenzu-

schrumpfen, zurückzuweichen.

In der Erstarrung krümmte er sich, das Wasser floß ihm bis

zum Hals. Mitten in den Gräsern, die sich mit ihm krümmten.

F2 Seitlich in den Teich einsteigen, damit das Wasser noch besser in den Körper eindringt, damit die Gräser ihn streifen.

Diese Zögern, diese Angst abzugleiten, sich vom Wasser

einfangen zu lassen.

Schwimmen;

schwimmen und sich mitten im Teich treffen, Körper gegen Körper;

tauchen bis zum Grund.

F1 Wenn das Zeichen kommt, mache ich meine Granaten los und

schwimme.

Dann flogen die aufgescheuchten Vögel fort, drei!

Er ließ sein Gewehr im Wasser untergehen.

Jetzt schwimmt er und lacht darüber, wie unkoordiniert sich seine Füße bewegen.

F2 Dieses Geräusch, er kennte es:

Der linke Arm, allzu stark angewinkelt und eigentlich zu tief im Wasser.

Er ist es.

Er richtet sich auf und lacht.

F1 Er ist es.

Er richtet sich auf und lacht.

F1 Sie werden sich berühren, sich miteinander verbinden;

Hand an Hand, Körper gegen Körper werden sie abwärts tauchen, mit offenen Augen.

Dort werden sie den Wirbelwind der Tiefen sehen, bis 9 zählen,

dann allein wieder aufsteigen,

alle beide als Sieger, deren Sieg eigentlich gar nichts zählt.

Glücklich. Wieder vereint.

F2 Die Granate explodierte über ihnen.

Sie hatten Zeit nachzudenken.

Der eine: so war es gut.

Der andere : NEIN

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